Freitag, 9. Juli 2010

Westerwelle – "Es ist nicht alles gut in Afghanistan"

Nach seiner Regierungserklärung werfen die Grünen dem Außenminister vor, unangenehme Wahrheiten zu verschweigen.

Der 9. Juli war einmal mehr ein Tag, an dem eine ambitionierte Idee der Politik mit der Realität konfrontiert wurde. Während Außenminister Guido Westerwelle (FDP) im Bundestag im Rahmen einer Regierungserklärung zu Afghanistan den Plan verkündete, im nächsten Jahr die ersten Provinzen in die Verantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte zu übergeben, vermeldeten die Nachrichtenagenturen einen blutigen Anschlag: Ein Selbstmordattentäter hatte sich in der Stammesregion Mohmand im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet in die Luft gebombt und dabei mindestens 56 Menschen mit in den Tod gerissen.

Nun liegt Mohmand zwar auf pakistanischem Staatsgebiet. Doch die Gebirgsregion gilt als Hochburg der aufständischen Taliban und Rückzugsraum für Angehörige der Terrororganisation al-Qaida. In der Gebirgsregion gehen pakistanische Sicherheitskräfte seit Monaten verstärkt gegen die Extremisten vor, die im Gegenzug immer wieder Vergeltungsanschläge verüben.

Das neuerliche Attentat in der Grenzregion verdeutlicht ziemlich treffend die Sicherheitslage in ganz Afghanistan. Trotz der Aufstockung der internationalen Schutztruppe Isaf auf mittlerweile 150.000 Soldaten und neuer Militäroffensiven gegen die Aufständischen steigt auch die Zahl der Taliban-Angriffe kontinuierlich. Der Juni war mit über 100 gefallenen Soldaten der tödlichste Monat für die Isaf seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001.
Bundeswehr will 2011 Provinzen übergeben

Westerwelle räumte im Bundestag ein, die Sicherheitslage sei weiter angespannt. „Es ist nicht alles gut in Afghanistan“, sagte der Minister in Anspielung auf ein Zitat der ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche, Margot Käßmann. Er warnte aber vor zu strengen Maßstäben. Am Hindukusch ließen sich keine europäischen Verhältnisse schaffen. „Unser Ziel muss ein Zustand in Afghanistan sein, der gut genug ist“, sagte Westerwelle. Gut genug bedeute, dass die Afghanen selbst imstande seien, für die Sicherheit zu sorgen.

In drei bis vier Provinzen soll dieser Zustand im Jahr 2011 erreicht sein, sie sollen dann an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden. Darunter werde auch mindestens eine der neun Provinzen im Norden Afghanistans sein, kündigte Westerwelle an. Dort liegt das Einsatzgebiet der Bundeswehr.

Die Planungen dazu sollen auf der nächsten Afghanistan-Konferenz am 20. Juli beginnen, die trotz der schlechten Sicherheitslage erstmals in Kabul stattfindet und an der Westerwelle teilnehmen wird. Beim Nato-Gipfel im November in Lissabon soll nach den Worten des Außenministers schließlich die Grundsatzentscheidung über den Beginn des Rückzugs der internationalen Truppen fallen.

Die Wehrpflicht

Die allgemeine Wehrpflicht wurde in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1956 eingeführt. Die ersten Bundeswehr-Rekruten waren 1957 in die Kasernen eingerückt. Seither wurden mehr als acht Millionen junge Menschen einberufen. Die Dauer des Wehrdienstes schwankte in den vergangenen mehr als 50 Jahren stark.

Anfangs wurden Wehrpflichtige für zwölf Monate eingezogen. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 betrug die Wehrpflicht von 1962 bis 1972 sogar 18 Monate. Auch in der DDR gab es – ab 1962 – einen verpflichtenden Wehrdienst dieser Länge. In der Bundesrepublik wurde der Dienst an der Waffe dann 1973 auf 15 Monate und 1990 auf zwölf Monate verkürzt.

Nach der Wiedervereinigung sank die Dauer des Wehrdienstes weiter auf zunächst zehn und seit Januar 2002 auf neun Monate.

Bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten Union und FDP, die Dauer ab Januar 2011 weiter auf sechs Monate zu verringern. Dies will die Regierung bereits ab 1. Juli umsetzen – was die Bundeswehr unter erheblichen Anpassungsdruck setzt. Die Verkürzung auf sechs Monate betrifft auch den Zivildienst. Dieser hat seine Grundlage in Artikel 12a des Grundgesetzes: „Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden."

Die ersten 340 anerkannten Kriegsdienstverweigerer traten im April 1961 ihren Dienst an.

Die Dauer des Zivildienstes lag anfangs bei 15 Monaten, erhöhte sich aber von 1984 bis 1990 sogar auf 20 Monate. Gesetzlich war damals vorgeschrieben, dass der Zivildienst ein Drittel länger sein muss als der Grundwehrdienst.

Seit der Wiedervereinigung wurde auch die Zivildienst-Zeit immer weiter verringert, 2004 auf die derzeit noch geltenden neun Monate. Mittlerweile entscheiden sich in Deutschland mehr Menschen für den Zivil- als für den Wehrdienst. So wurden im Jahr 2009 rund 68.000 junge Menschen zum Wehrdienst einberufen, aber mehr als 90.000 entschieden sich für den Zivildienst.

Die Zahl der Wehrpflichtigen ist seit der Wiedervereinigung drastisch gesunken. So waren in den Jahren 1991 und 1992 noch jeweils mehr als 200.000 Wehrpflichtige einberufen worden. Die sinkende Zahl der Einberufungen löst immer wieder Debatten darüber aus, ob die Wehrpflicht noch gerecht ist. Verteididigungsminister Guttenberg hatte seinen Vorstoß für ein Aussetzen der Wehrpflicht in erster Linie mit Sparzwängen begründet. Wenn auch im Verteidigungsetat gekürzt werden müsse, sei für die relativ teure Einberufung und Ausbildung zehntausender Wehrpflichtiger kein Geld mehr da.

Zudem argumentieren Verteidigungsexperten, die Schulung der Rekruten binde auch zahlreiche Zeit- und Berufssoldaten, die dann bei Einsätzen im Ausland fehlen.

Zugleich stehen aber auch die Wehrpflichtigen für solche Einsätze kaum zur Verfügung. Merkel gab nach anfänglichem Widerstand dem Minister grünes Licht, ohne Tabus auch über Änderungen der Wehrverfassung nachzudenken.

Bei dem Treffen in Kabul müsse die afghanische Regierung Rechenschaft ablegen, welche Fortschritte sie bei der Erfüllung der bei der Vorgängerkonferenz im Januar in London vereinbarten Ziele erreicht habe, sagte der Minister. Außerdem erwarte er konkrete Pläne, wie die Regierungsführung und der Kampf gegen Korruption verbessert werden sollen.

Heftige Kritik erntete Westerwelle von der Opposition. In dem halben Jahr seit der Londoner Konferenz habe sich die Lage in Afghanistan nicht nachhaltig verbessert, sagte der SPD-Außenexperte Gernot Erler. Er verwies darauf, dass Kanada, die Niederlande und Polen ihren Abzug bereits beschlossen haben.

Der Grünen-Politiker Frithjof Schmidt forderte Westerwelle auf, unangenehme Wahrheiten nicht zu verschweigen. „Wir reden hier über eine politische Lösung, deren Kern eine Machtteilung mit den wichtigsten bisherigen Gegnern sein wird“, sagte er. Der afghanische Präsident Hamid Karsai suche den Dialog mit nichtdemokratischen Kräften. „Wir wissen: Da werden auch Kompromisse vorbereitet, die in menschenrechtlicher Hinsicht hochproblematisch sind“. Vieles werde bei einer politischen Lösung vermutlich unvermeidbar sein, es müsse aber offen ausgesprochen werden.

Quelle: Welt.de

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